Samstag, 28.9.2024, Reise nach Gyumri
Der Tag begann wie üblich. Duschen, Frühstück, fertig. Ein Taxi brachte mich die dreieinhalb Kilometer für umgerechnet 0,75 € zum Bahnhof.
Überraschung: vor und neben dem Bahnhof war ein riesiger Gemüsemarkt. Viele Händler hatten auch schon Gemüse in Kisten auf dem Boden gestellt Und viele Besuche wuselt dazwischen herum. Aber ich wollte jetzt erst mal zu meinem Zug.
Da stand er schon im Gleis mit jungen Leuten und Kindern. Wenn man sich eine U-Bahn vorstellt, die zu einem großen Fußballspiel fährt: so kann man sich diesen Zug vorstellen. Der Gedanke an über 3 Stunden stehen machte mich nicht wirklich glücklich.
Mit etwas Glück hatte ich dann doch noch einen Haltegriff ergattert, den ich nur mit einer anderen Frau teilte.
Und dann ging die Reise los. Den Zug machte seinem Namen als Slow Train alle Ehre. Er trödelte durch die Vororte, in den sonnigen Morgen hinein. Wir passieren einen Friedhof, verlassene Industriegebäude und ein paar karge Felder.
Der Schaffner kam und quetscht sich auch noch durch die dicht an dicht stehenden Passagiere.
An den ersten Bahnhöfen steigt niemand aus, aber es kommen immer neue Fahrgäste hinzu. Die Fahrt dauert etwas über 3 Stunden, das kann sich lang anfühlen.
Die erste Stunde ist rum. An der Zugbesetzung hat sich nicht viel getan, es sind eine Handvoll Leute dazu gekommen. Mein Kaugummi schmeckt nach 1 Stunde auch nicht mehr so gut, aber ich kann ihn wohl schlecht ausspucken.
Und um ihn unter einen Sitz zu kleben, braucht man halt einen Sitz. Also weiter Widerkäuen. An der Strecke stehen viele verlassene oder verfallene Häuser. Allerdings kommen wir auch an einigen gut bestellten Feldern vorbei.
Da ich einigermaßen groß bin, fällt mir die ehrenvolle Aufgabe zu, für einzelne Mädchen die Rucksäcke oder Taschen aus dem Gepäckfach herunter zu heben. Ich wundere mich allerdings, was sie damit wollen, weil ja keiner aussteigt.
Und immer, wenn man denkt, der Zug sei voll, steigen circa 40, sehr gut gelaunte Zehnjährige ein.
Sie sind sehr lebhaft, haben alle Smartphones und die Hälfte von Ihnen telefoniert aufgeregt. Da stellt sich natürlich die Frage, Wen um alles in der Welt rufen Sie jetzt an? Den Börsenmakler?
Mittlerweile ist es so voll, dass ich nicht mehr umfallen kann. Höchstens nach rechts, weil sich da die Kinder auf dem Boden gesetzt haben. Da würde ich vielleicht keinen Halt finden, aber ansonsten bin ich gut abgestützt.
Bei der Enge steigt natürlich auch die Temperatur. Schön warm ist es hier.
Und meine Bewegungsfreiheit ist auch etwas eingeschränkt, weil mittlerweile ein Mädchen auf meinem rechten Fuß sitzt. Das sind ja fast indische Verhältnisse hier.
Nach fast 2 Stunden standen ganz in meiner Nähe zwei Frauen auf. 16 Kinder, die auf dem Boden saßen, wollten sich sofort auf die Plätze stürzen. Aber die eine Frau hat erst auf mich gezeigt und dann auf dem Platz. Glück gehabt.
Die Kinder auf dem Boden schauen gemeinsam ein YouTube Video und singen dazu. Auf dem Video ist auch der Text zu sehen, das führt dazu, dass sie sich eher auf dem Text konzentrieren als auf die Melodie. Und so hört sich das dann auch an. Aber niedlich ist es schon! Später tanzen! sie dann auch noch zu den Musik!
Wenn der Zug dann mal abbremst, hat man auch schon mal fünf Kinder auf dem Schoß. Daran, dass sie eigentlich konstant auf meinen Füßen stehen, habe ich mich gewöhnt. Bei dem Gewicht kann man das vernachlässigen. Passiert halt! Aber die unendliche Energie der zehn- bis zwölfjährigen ist echt beeindruckend. Toll!
Gyumri ist nach Eriwan mit 180.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt in Armenien und liegt auf 1500m Höhe. Der Ort war zwar schon vor vielen hundert Jahren besiedelt, aber eine Stadt wurde erst 1837 gegründet aus einer russischen Festung. Die moderne russische Armee hat heute eine Garnison 5km entfernt von der Stadt. Deutsche Partnerstadt ist Halle an der Saale.
Wenn man nach 3 Gründen sucht, Gyumri zu besuchen, wird man schnell fündig (Reiseführer): da ist zum einen die Architektur der Stadt mit vielen verzierten Bauwerken und farbenfrohen Fassaden. Dann gibt es hier eine sehr lebendige Kunstszene mit vielen Galerien Ateliers und Museen. Gyumri ist darüber hinaus bekannt für die Herzlichkeit seiner Bewohner und seine entspannte, gemütliche Atmosphäre.
Also mir reicht das….
Schließlich fuhr der Zug in Gyumri ein, und tatsächlich ist die ganze Zeit kein weiterer Sitzplatz frei geworden. Auch ein Aussteigen gab es eine Menge Chaos.
Aber wenn man darauf bedacht ist, dass nur die Ergebnisse zählen: Schließlich bin ich rausgekommen und stand in dem sehr pompösen Bahnhof. Die Frage, ob ich die knappe 2 km zu Fuß gehe oder mit dem Taxifahrer fahre, habe ich schnell zu Gunsten des Taxis entschieden. 0,55 € kostet nämlich die Fahrt, da kann man wirklich nicht meckern.
Meckern kann man höchstens, wenn das Zimmer im Hotel nicht frei ist. Schade. 13:00 Uhr sagt der Portier. Okay, dann habe ich Zeit ein bisschen spazieren zu gehen.
Das Wetter ist wunderbar. Es sind 24° und in der Sonne fühlt sich das natürlich etwas mehr an. Gyumri ist zwar eine Großstadt, aber hier geht doch sehr vieles ruhiger zu als in Erivan. Die Bürgersteige sind so leer, dass man nicht ausweichen muss und auch das Zentrum strahlt eine gewisse Freundlichkeit aus.
In der Fußgängerzone sind viele Cafés in kleinen Glaskästen. Diese sehen total gemütlich aus, vielleicht ist das was für heute Abend. Ich schlendere bis zu dem zentralen Platz und schaue einfach dem Treiben zu. Pferdekutschen scheinen hier die Attraktion zu sein. Sie lauern auf Touristen und als zwei Busse ankommen, herrschte hier Vollbeschäftigung.
Da bleibt vielleicht noch die Frage offen, was die Kinder respektive die jungen Leute in dem Zug gemacht haben. Es kann nicht sein, dass sie zur Schule gefahren sind, wie ich dachte. 3 Stunden Schulweg sind dann doch etwas lang. Könnte es denn sein, (der Verdacht erhärtet sich bei den vielen Kindern, die ich auf dem großen, zentralen Platz sehe) kann es sein, dass heute der große Ausflugstag ist? Dass ein Großteil der Kinder in Erivan einen netten kleinen Ausflug nach Gyumri gemacht haben? Habe ich mit einer absoluten Treffsicherheit für Chaos mir tatsächlich den Tag und den Zug ausgesucht, wo wir alle zusammen sein konnten? Riecht irgendwie danach. Aber im Nachhinein betrachtet: so schlimm war es wiederum auch nicht.
Ich bin dann kurz in die Kathedrale gegangen, aber wirklich nur kurz, weil einerseits draußen ein relativ großes Schild mit dem Dresscode (keine kurzen Hosen) angebracht war, außerdem fand dort gerade eine Messe statt. Also nur einen Blick drauf geworfen und wieder raus. Der nächste Weg führte mich dann zum Markt.
Hier gibt es alles. Gemüse, Obst, viel Fisch, eingemachter Speisen, und immer wieder eine unglaubliche Vielfalt von Kaffeesorten.
Ein Markthändler fragte mich Ingles? Ich verneinte. Nemez? Ich nickte. Darauf er: „Sieg Heil“ und dazu den typischen Gruß. Nicht schön.
Ich bin dann erst mal einchecken gegangen und dann wieder zurück in die Stadt. Als ich am Theater vorbeikomme hört man laute Musik. Es ist sehr schöner Jazz und danach kam elektronische Musik, aber auch sehr gut.
Ich hab mich da auf eine Bank gesetzt und 5 Minuten zugehört.
Erst hatte ich danach leichte Schwierigkeiten, das Geschichtsmuseum zu finden, habe mich dann in einer Tür vertan und bin in einer Kunstausstellung gelandet.
Das war aber auch nicht falsch. Dann aber fand ich die richtige Türe und war in einer sehr kleinen und auch sehr einfachen historischen Sammlungen gelandet. Sie bestand überwiegend aus Fotos, aus Plakaten und Zeitungsartikeln, mit denen ich natürlich wenig anfangen konnte. Wie auch in dieser Kunstausstellung war es hier auch so, dass eine die Leute irgendwie anlächelten.
Ich hab extra geguckt, ob ich irgendwas im Gesicht habe. Aber nein, die waren einfach nur freundlich und so macht das auch durchaus Spaß, hier durchzugehen, auch wenn man so gut wie nichts verstand.
In der oberen Etage fand dann noch ein Event statt, wobei circa 100 Zuschauer einem Maler zuschauten wie er sein Bild malte. Na ja!
Aber das mit der Malerei zieht sich hier durch. In einer Fußgängerzone findet offensichtlich eine Malerei-Aktion statt. Viele Kids laufen mit Staffelleien herum oder haben irgendwelche Farbkästen oder Pinsel in der Hand. Dabei fällt mir ein, dass ich auch im Zug Kids mit Pinseln und ähnlichen Malutensilien gesehen habe.
Hier sind auch so viele junge Leute unterwegs, die können nicht hier geboren sein. Wahrscheinlich läuft da irgendeine Kulturaktion und ich war heute mittendrin. Die Stimmung hier in der Stadt ist schön. Ich laufe herum, gucke mir verschiedene Dinge an und mir geht es hier ganz gut. Erivan war schön, aber ich will auch mal was anderes sehen und das urbane Leben hier gefällt mir gut.
Grund genug in das Museum für nationale Architektur und das urbane Leben in Gyumri zu gehen. Es ist direkt neben der sehr schmucklose Kathedrale in einem wunderschönen Haus untergebracht und zeigt die Stadtstruktur von Alexandropol (so hieß die Stadt früher mal, als hier ein überlebensgroße Leninstatue in die Ferne gewiesen hat).
Die Stadt hat schwer durch Erdbeben gelitten und ist immer wieder aufgebaut worden. Sie ist allerdings nicht vorbereitet für Tourismus, d.h. die Exponate hier im Museum wurden überwiegend in Armenisch und in Russisch beschrieben. Es waren alte Stadtbilder und eine Auswahl von Werkzeugen, die in den verschiedenen Zünften hier gebraucht worden sind. Ein besonderer Schwerpunkt lag hier wohl bei den Schmieden, einerseits als Goldschmiede, Silberschmiede und andererseits auch als ganz normale Schmiede für Werkzeuge, Wagen, Räder und andere Gebrauchsgegenstände.
Nun aber brannten mir die Füße und ich ging ins Hotel zurück und machte quasi Feierabend.
Die Preise sind unglaublich günstig.
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