Mittwoch, 2.10.2024 Tiflis
Diese Nacht hat es geregnet. Und ist schweinekalt. Ich setze einen Joker auf die globale Erwärmung und gehe trotzdem im T-Shirt. Auf zur Metro und wieder runter zum Erdmittelpunkt mit der Rolltreppe des Grauens. Mir fällt auf, dass auf der Gegenseite mehr als jeder zweite auf sein Handy starrt. Muss ich das kommentieren? Nein. Die Leute in der U-Bahn machen einen müden Eindruck, aber ich habe gut geschlafen.
Die U-Bahn bringt mich nach Samgori. Die Station hier ist nicht so tief wie am Liberty Square, aber man kommt erst in eine unterirdische Einkaufsstraße. So etwas gibt es hier oft mit kleinen Shops und ich finde das schöner als solche kahlen unterirdischen Gänge.
Als ich rauskomme bin ich in einem anderen Tiflis. In der Altstadt ist die Architektur alt, aber alles andere ist touristisch. Das hier scheint Tiflis zu sein. Markthändler sitzen auf dem Boden und bieten ihre Ware feil, angefangen von Obst und Gemüse über Handykabel Werkzeuge… Auch die allgegenwärtigen Hunde fehlen nicht.
Hier gibt es sogar einen kleinen Markt.
Auf dem Markt gibt es auch eine Straße der Schumacher. Hier ist eine kleine Schuhmacherwerkstatt neben der anderen mit vielen Geräten und vielen Schuhen. Hier auf genäht und besohlt und was weiß der Henker noch gemacht. Etwas weiter hinten kommen dann ein paar Schuhgeschäfte und auch ein paar Textilläden. Offensichtlich ein gigantischer Markt.
Es gibt auch noch eine Straße mit vielen Schneidern und einen Blumenmarkt. Aber eigentlich bin ich hier, um zu checken, wie ich weiterkomme, weil hier ein wichtiges Busterminal ist. Ich brauche etwas Zeit, es zu finden aber dann stehe ich in mitten einer großen Ansammlung von Matuschkas.
Diese Busse versorgen den Verkehr innerhalb außerhalb von Tiflis. Sie haben einen ungefähren Fahrplan, fahren aber erst los, wenn sie voll sind. Das kann eine halbe Stunde vor dem geplanten Start oder auch danach sein. Ich gehe in das Ticket-Office, aber die Frau dort kann mir auf die von Google Translate übersetzte Frage, (immerhin in ihrer Sprache), nicht antworten.
Draußen bei den Fahrern finde ich keinen einzigen, der unter 50 ist, die Männer sind meistens älter und da schwindet meine Hoffnung, dass die Englisch können. Mehrere der Fahrer lesen sich meine Beschreibung durch und diskutieren untereinander, dann rufen Sie einen kleinen dicklichen Fahrer hinzu und der erklärt mir dann in Englisch und mit seinen Händen, dass die Busse von 5:00 Uhr morgens an stündlich fahren. Okay, das wollte ich wissen. Das alles hier sieht aus wie ein großes Chaos aber es scheint zu funktionieren.
Vor dem danebenliegenden Supermarkt sitzen zwei Frauen, wahrscheinlich Roma. Sie lesen aus der Hand. Es ist wahrscheinlich nicht ungefährlich, sie zu fotografieren, ich versuche es aber trotzdem.
Irgendwelche Streetfood gibt es hier leider nicht. Es gibt wohl Bäckereien, aber das was die anbieten ist nicht mein Geschmack. Es gibt hier auch nicht so viele Kaffeebuden wie in Armenien aber manchmal findet man eine. Der Kaffee kostet normalerweise irgendwas zwischen ein und zwei Lari, also im Schnitt 0,50 €. Dafür schmeckt er allerdings sehr sehr lecker. Und auch hier ist so eine Bude. So komme ich zu meinem Kaffee.
Hier gab es auch ein kleines Backstück, das mit Puderzucker überstreut war und das mich anlächelte. Für umgerechnet sechs Cent gehörte es mir und lecker war es auch.
Es laufen überall viele Hunde und Katzen herum, wobei wenigstens die Hunde einen riesengroßen Chip im Ohr haben, sie sind also alle registriert. Ich habe auch Schilder gesehen, wo Leute aufgefordert wurden, die Hunde zu füttern und das tun sie auch. Man sieht es immer wieder, dass Hunde auf der Straße vor sich einen großen Haufen Fertigfutter haben und den manchmal sogar gelangweilt ansehen, weil sie generell gut versorgt sind.
Ich bin noch lange durch das Viertel gelaufen, weil ich hier wirklich das Gefühl hatte, dass hier das sehr normale Leben stattfindet. Alte und junge Leute, Männer und Frauen, Kinder, Katzen alles durcheinander. Alles sehr bunt und sehr laut.
Statt Marktständen, stehen hier auch oft einfach die LKWs oder die PKWs mit offenen Türen da und die Ware wird direkt aus dem Auto verkauft.
Der ganze Stadtteil scheint ein einziger Markt zu sein. In einem Bereich sind die Stände überdacht und es ist relativ leer. Ich schlendere da so durch. Werde von den Frauen oft mit Papa angesprochen. Dann folgt ein Wortschwall auf georgisch, den ich natürlich nicht verstehe. Aber dann wird auch schnell umgeschwenkt und einzelne Waren werden auf Englisch genannt. Die Frauen sind aber nicht aufdringlich, das passt schon. Und in einer Ecke standen wieder viele bunte Plastikflaschen herum: hausgemachter Wodka.
In der Fleischabteilung entdecke ich ein paar ganz lecker aussehende kleinen Salamis. Und bitte die Frau um eine. Sie verstand das sofort und brach mir von einer Wurst ein Stückchen ab, weil ihr klar war, dass ich erst mal probieren wollte. Und ihre Rechnung ging auf. Ich kaufte mir dann 6 Stück. Dann bin ich langsam zu U-Bahn. Es gibt hier tatsächlich Menschen, die die Treppen runter rennen, um die U-Bahn zu erwischen. Aber ich tue das nicht. Die 3 Minuten (die fahren hier in 3 Minuten Takt) habe ich Zeit.
Ich hätte hier den ganzen Tag verbringen können.
Nach einer kurzen Pause bin ich dann wieder losgegangen und was man so tut, wenn man keinen in Stein gemeißelt im Plan hat: ich sah einen ziemlich gruseligen Hauseingang und dachte: was da wohl drin sein mag? Mein Herz ist mir ziemlich tief in die Hose gerutscht, als ich durch den dunklen Hausflur gegangen bin, aber natürlich ist nichts passiert. Aber spannend war es schon!
Mein Plan sah vor, zum Experimentalmuseum zu gehen.
Nach einigem Suchen fand ich es auch, konnte aber nicht hineingehen, weil die auf meinen Schein nicht wechseln konnten. Eventuell ist hier die Digitalisierung auch weiter fortgeschritten, aber ich habe noch Bargeld und möchte nicht drauf sitzen bleiben. Also ging ich erst mal zu einem anderen Museum.
Es war nicht einfach, das andere Museum zu finden. Ich wollte in das Museum der russischen Machtergreifung. Wenn ich Leute fragte, schicken Sie mich mal in die eine und dann die andere Richtung. Das passierte einige Male, bis ich endlich im Museum für moderne Kunst den Hinweis kriegte, dass das Museum im georgischen Nationalmuseum beheimatet ist. Da war ich bis dahin fünfmal dran vorbeigelaufen.
Hier mal eine Anmerkung. Die Leute hier wie auch in Armenien sind alle sehr freundlich und hilfsbereit. Alle? Nein, es gibt auch Ausnahmen. Die erste habe ich getroffen, als ich mir die Simkarte besorgt habe und die zweite war jetzt hier in dem Museum. Die Frau an der Kasse war in ihrer Schroffheit kurz an der Grenze zur Unfreundlichkeit. Warum nur? Aber egal, jetzt zu dem Museum:
Und tatsächlich: im obersten Stock finden sich eine Dokumentationen zu der russisch-georgischen Geschichte.
Im Mai 1918 hat Georgien seine Unabhängigkeit erklärt, und im Mai 1920 sind die Russen einmarschiert. Im Februar 21 sind sie dann in Tiflis angekommen.
Ein schnell gegründetes Revolution Komitee hat dann 1921 die sowjetische Republik Georgien ausgerufen und um militärische Hilfe von Russland gebeten.
Warum kommt mir die Geschichte so bekannt vor?
Von dem Zeitpunkt an sind viele Georgier in den Widerstand gegangen und in den Untergrund. Dort gab es erbitterte Kämpfe.
Das Selbstverständnis der Georgier zu der Zeit war, dass Russland Ihnen wohl militärischen Schutz versprach, sie aber sich lieber dem Westen zuwenden wollten.
In dem Museumssaal sind sehr plakativ Gefängnistüren aufgestellt, von denen es in der Zeit wohl viele gegeben hat.
In der Zeit zwischen 1921 und 1941 war die Bevölkerung von Georgien 4 Millionen Menschen stark und von denen wurden 72.000 erschossen und 200.000 deportiert. Beide Gruppen bestanden überwiegend aus Wissenschaftlern, Lehrern und aus der kreativen Intelligenz.
In der Folge wurde das nicht viel besser, weil in den zehn Jahren danach weitere 5000 Personen erschossen worden sind und weitere 190.000 deportiert.
Nach Stalins Tod in 1953 kam Chruschtschow auf die Bühne. Er war beteiligt an den Massaker in der Ukraine und außerdem war er zu früheren Zeit einer der Soldaten der elften roten Armee, die in Tiflis einmarschiert ist.
Zu der Zeit haben dann mehrere Jugendliche aus Tiflis im Alter von 14 Jahren eine Organisation gegründet um für die Freiheit zu kämpfen. Ihre Arbeit hat zu den großen Demonstrationen im März 56 geführt.
Im Mai 1990 hat dann das oberste Gericht die Republik von Georgien ausgerufen. In 1991 wurde dann ein Volksabstimmung abgehalten mit der Frage, ob das Volk die Unabhängigkeit von Georgien will. 98 % stimmten zu.
Heute ist Georgien wieder auf einem anderen Weg und als ich mich gestern mit unserer Führerin unterhalten habe, hat sie das auch bestätigt. Vor allem Leute im Süden wollen wohl gerne wieder unter den russischen Schirm. Bei denen ist es der Süden, bei uns ist es der Osten. Es ist zum kotzen.
Danach bin ich in das Nationalmuseum gegangen, es war ja im gleichen Gebäude und habe mir da die Schätze angesehen. Es sind viele Gemälde und auch Textilien. Die Gemälde sind alle so aus dem 17. 18. und 19. Jahrhundert und die Art, wie gemalt wird. (es sind überwiegend Personen), erinnert mich sehr an persische Malerei.
Während ich durch das Museum hier gehe, diktiere ich kleine Notizen in mein Handy (die Details vergesse ich sonst zu schnell) und der freundliche Werter kommt und bittet mich, doch hier nicht zu telefonieren. Ich kläre ihn auf und er lacht und meint, das sei okay.
Eines der Highlights in dem Nationalmuseum sind sicherlich die beiden Begräbniswagen aus Holz, die man gefunden hat. Es wird geschätzt, dass sie aus dem zweiten Jahrtausend vor Christi Geburt sind.
Oder auch einen Tonkrug mit Verzierungen, die Weintrauben darstellen sollen, ist sogar aus dem sechsten Jahrtausend vor Christi Geburt.
Viele Exponate in der Ausstellung sind unglaublich alt und Zeitzeugen von Völkern, die hier vor tausenden von Jahren gelebt haben.
Interessant ist auch, dass hier Fossilien von Tieren gefunden worden sind, die eigentlich nicht her gehören. Da sind Säbelzahntiger, Pumas, Gazellen, Antilopen, Mastodons, Affen, Rhinos, Straußen und andere Tiere, die man eher in Afrika vermutet als hier.
Es wird auch die Replik eines Grabfund gezeigt, bei dir das Original aus dem Westen von Georgien stammt. Der Körper gehörte einem circa 30-35 Jahre alten Mann und in seiner Brust steckte einen 15 cm langer Knochen. Es ist unklar, ob der Tod durch den Unfall oder einen Kampf herbeigeführt wurde oder ob es eine rituelle Tötung war. Das Alter wird auf 9500-9800 Jahre geschätzt.
In einem anderen Raum wird auch der kaspische Tiger (ausgestopft) gezeigt. Man glaubt, dass er über den Iran und Aserbaidschan nach Georgien gekommen ist. Die hier gezeigten Hyänen gibt es wohl heute noch.
Generell brüstet sich das Museum damit, Exponate zu zeigen, die bis zu 40 Millionen Jahre alt sind und welche aus jüngerer Zeit. Damit meint man einen großen Teil der Geschichte abzudecken. Offensichtlich sind einige Teile des Museums heute geschlossen, weil sie gerade renoviert werden. Sie werden 2028 wohl wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht da kann man tatsächlich gespannt sein.
Ein List Teil der Ausstellung befasst sich mit den Schätzen, wie man bei den Grabungen gefunden hat. In Georgien gibt es eine lange Tradition der Goldschmiedekunst, sie reicht vom dritten Jahrtausend vor Christi bis zum vierten Jahrhundert nach seiner Geburt.
Natürlich hat sich das hier entwickelt, weil man eben im Kaukasus auch relativ viel Gold gefunden hat. Noch heute gibt es hier Goldminen.
Ich war zwar schon etwas fußlahm, aber noch war etwas Zeit am Tag. Also auf ins nächste Museum.
Das Experimentalmuseum war lustig. Die erste Stopp waren zwei Stühle, einer mit Nägeln und einer mit Kugel. Der Effekt war, dass man auf den dichten Nägeln bequemer saß. Dann gab es noch einen Geschicklichkeitsspiel, wo man eine Kugel über eine Fläche bugsieren musste, so dass sie oben in das Loch rein fiel. Hab ich geschafft.
Das eher für kinder ausgelegte Museum zeigte viele Experimente, mit denen man physikalische Gesetze erklären konnte. Da waren welche aus der Optik und aus der Akustik und natürlich viele aus der Mechanik. Toll fand ich den Celtic Stone. Der zeigt, im Uhrzeigersinn gedreht, eine ganz andere Charakteristik als wenn man ihn gegen den Uhrzeigersinn dreht. Diese und viele andere faszinierende Experimente konnte man hier durchspielen und bekam auch eine kleine Erklärung dazu. Für junge Leute und teilweise auch für alte Säcke ein guter Ort.
Tiflis, die Hauptstadt Georgiens, ist ein kulturelles Zentrum mit einer reichen und vielfältigen Geschichte, die sich in ihrer Architektur, Kunst und Literatur widerspiegelt. Die Stadt war im Laufe der Jahrhunderte ein Schmelztiegel der Kulturen, beeinflusst von persischen, russischen, osmanischen und europäischen Einflüssen. Tiflis ist bekannt für seine lebendige Theaterszene, zahlreiche Museen und Kunstgalerien, die die kreative Energie der Stadt zeigen. Die Altstadt von Tiflis, mit ihren engen Gassen und traditionellen Häusern, ist ein lebendiges Museum, das die Geschichte und Kultur Georgiens bewahrt. Die jährlichen Kulturfestivals und Musikveranstaltungen in Tiflis ziehen Künstler und Besucher aus aller Welt an und machen die Stadt zu einem pulsierenden kulturellen Hotspot. Hier ein paar Exponate aus der Staatlichen Galerie, in der ich heute auch noch war:
Tiflis spielt auch eine zentrale Rolle in der Wirtschaft des Landes. Als wichtigstes Handels- und Finanzzentrum beherbergt die Stadt zahlreiche Banken, internationale Unternehmen und Märkte. Tiflis profitiert von seiner strategischen Lage an der Kreuzung zwischen Europa und Asien, was es zu einem bedeutenden Knotenpunkt für Handel und Logistik macht. Die Stadt zieht auch viele Investitionen in den Bereichen Technologie, Tourismus und Bauwesen an, was das Wirtschaftswachstum weiter fördert.
Die Stadt hat 1,2 Millionen Einwohner und liegt auf 380m Höhe. Der Name kommt von dem Wort Tbilisi, das soviel wie warmes Wasser bedeutet. Das rührt von bis zu 46,5 warmen Quellen, die am Nordhang des Mtabori sprudeln. Die Stadtgründung geht auf das Jahr 400 n.Chr. zurück, als die Perser hier eine Festung errichteten. Deutsche Partnerstadt ist Saarbrücken.
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